Zügeloses Eigenleben

29. September 2010 by yeah

Karl Georg Nicklbauer malt in seiner Freizeit „Phantasmagorien“ und zeigt sie unter anderem in seiner Tölzer Galerie.

Da liegt das weiße Blatt Papier und der einfache Druckbleistift. Mit diesem fängt Karl Georg Nicklbauer irgendwo an. Oft entsteht dann eine Stadt aus Pagoden, Palästen und Spitztürmen, Bögen und Brücken.Dazwischen mal ein Auto und viele Gesichter oder Augen, die mit der absurden Architektur verschmelzen. Solche Stadtlandschaften nennt der Maler und Zeichner, der sich die Techniken selbst beigebracht hat, Phantasmagorien, also Trug- oder Gaukelbilder. „Wenn ich so vor mich hin male, dann scheint der Bleistift ein Eigenleben zu entwickeln“, erklärt er.
Parallel zu den kleinen Zeichnungen entstehen mittelformatige Acrylbilder, die derzeit in der Galerie im Schwankel-Eck zu sehen sind. Auch Zeichnungen hat Nicklbauer den Wolfratshausnern dort bereits vorgestellt.
Ständig zu sehen sind seine gezeichneten Kleinodien in seiner eigenen kleinen Galerie an der Bairawieserstraße 11 in Bad Tölz, die samstags von 16 bis 18 Uhr geöffnet ist. Er hat sie „Flammentanz“ genannt. Der Gartenbauverein hatte den Anliegern die gleichnahmige verführerisch blühende Rose vorbeigebracht. Sie bestimmt seither das Gesicht der idylischen und gepflegten Vorgärten in dieser Straße. Auch bei Nicklbauer gedeiht sie prächtig. Er ist stolz und glücklich, dass Besucher zu seiner Privatgalerie durch den Garten und unter Rosen wandeln können.
„Kunst soll schließlich brennen, und der Gang durch den Garten hat eine Kraftwirkung“, sagt er.
Ein helles Gartenzimmer hat er für den Ausstellungsraum ausgebaut, mit Parkett und professioneller Beleuchtung. „Gerne können auch andere Maler hier ausstellen – wenn Qualität und Bildgröße stimmen“, sagt er. Gerade kleinere Bilder seien in Ausstellungen „oft so verloren“.

Nicklbauer malt in seiner Freizeit. Sein Brot verdient er als Architekt im öffentlichen Dienst und hat Freude daran, denkmalgeschützten Bauwerken wie der Wieskirche wieder zur ursprünglichen Pracht zu verhelfen. Wenn er zeichnet und malt, kann er sich ganz freimachen von eher schematischen Vorgaben und seine eigenen phantastischen, verträumten, verschachtelten und verwinkelten Städte und Landschaften erschaffen.
An seiner Seite war stets die Hündin Akami zu finden. Er liebe diesen Hund, sagt er,
„auch wenn er stur ist wie ein Esel“. Das Tier der japanischen Rasse Akita Inu, zur Bärenjagt gezüchtet, gab ihm Ruhe oder begleitete ihn in die Natur und in die Berge.
Dort hat Nicklbauer seine „geliebten Stoamandl“ entdeckt, die er in Acryl fast fotorealistisch als Vexierbild gemalt hat.
Wer im Schwankl-Eck genau hinsieht, entdeckt Gesichter in den aufgestapelten Steinen. Auf einem anderen Exponat taucht fast engelhaft ein Schiff aus dem aufgewühlten Meer auf, in gleißendes Licht gehüllt. „Licht möchte ich malen“,
sagt dazu der Tölzer, der am Anfang seiner Malerei seine Zeichnungen opulent in Farbe umsetzte. Nun nimmt er sich bei den Gemälden farblich völlig zurück, führt den Pinsel noch immer so, als zeichne er. Dies mündet in phantastischen Realismus oder aber in ganz konkrete Bilder von verschneiten Tannen oder einen hoffnungsvoll hellen Himmel, der winterlich kahle Zweige und ein Stück rauhreifbedecktes Hausdach beleuchtet.

Karl Georg Nicklbauer zeichnet und malt nicht nach dem Zeitgeschmack wie er betont. Er läßt sich seine Zeichnungen sozusagen diktieren und gibt ihnen erst nach Fertigstellung lyrisch angehauchte Titel – meist ganze Sätze wie „Ich wäre so gerne eine Winterbraut geworden“ oder „Die Schläfrigkeit und das Staunen“.
Letzteres tun viele Betrachter, die in seine Phantasmagorien eintauchen.

Barbara Szymanski

Süddeutsche Zeitung vom 29. September 2010


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